Entsäuerung (Papier)

Unter Entsäuerung versteht man in der Bestandserhaltung von Papieren verschiedene Verfahren zur Neutralisation von Säuregehalten, um sie damit vor dem weiter fortschreitenden Papierzerfall zu retten. Man spricht von Massenentsäuerung, wenn Bücher oder Akten in größeren Mengen entsäuert werden. Dies kann auch automatisiert erfolgen.

Hintergrund

Die Säuren wurden meist herstellungsbedingt – fast ausschließlich ab Beginn der industriellen Papierproduktion Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Verwendung von Holzschliff – ins Papier eingetragen. Mit alkalischen Wirkstoffen können sie aber auch nachträglich durch Umwelteinflüsse in das Papier gelangt sein. Säureeinwirkungen zersetzen Cellulose, indem sie deren Makromolekül verkürzen. Das führt zu einer Degradation der Cellulosefasern und einer damit verbundenen Senkung der Reißfestigkeit. Die mechanische Festigkeit des Papiers sinkt und führt so zu einer irreversiblen Schädigung des Papiers. Insbesondere Holzschliffpapier bildet dadurch im Laufe der Zeit Zerfallsprodukte des rohstoffbedingt in ihnen enthaltenen Lignins, die das Papier zusätzlich schädigen.

Der Säuregehalt des Papiers kann in der Regel nicht mit einfachen pH-Wert-Messgeräten ermittelt werden, da das Papier hierzu angefeuchtet werden müsste. Stattdessen werden Filzstifte mit entsprechenden pH-Indikatoren verwendet. Ziel der Entsäuerung ist es, das Papier in den alkalischen Bereich mit Messwerten zwischen pH 7 und 9 zu bringen. Man unterscheidet Flüssigphasen-Verfahren und Trockenverfahren:

  • Flüssigphasen-Verfahren, beispielsweise das Papersave-Verfahren oder das Book-CP-Verfahren[1]
  • Trocken-Verfahren, Entsäuerung in der Gasphase
  • Wässriges Einzelblatt-Verfahren, wie das Wiener Verfahren, Bückeburger Verfahren

Flüssigphasen-Verfahren

Hauptartikel: Battelle-System

Bei der maschinellen Massenentsäuerung kommen nur Flüssigphasen-Verfahren zur Anwendung, so z. B. bei der Blockentsäuerungsanlage der Gesellschaft zur Sicherung von schriftlichem Kulturgut mbH (GSK), entwickelt in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Hannover.[2]

Beim Flüssigphasen-Verfahren werden die Bücher in Drahtkörben für mehrere Stunden in ein Bad mit wasserfreiem Lösungsmittel (z. B. Hexamethyldisiloxan), welches Ethanolate enthält, getaucht. Die Ethanolate, vor allem Titan- und Magnesiumethanolat, neutralisieren die Säure und bauen eine alkalische Reserve in dem Papier auf.[3]

2016 stellte die Universität Graz ein Verfahren vor, bei dem mittels einer mit Nanoteilchen angereicherten Flüssigkeit Papier maschinell entsäuert werden kann.[4][5]

Trocken-Verfahren

Bei Trocken-Verfahren werden Pulvergemische mit alkalischen Wirkstoffen, z. B. aus Magnesiumoxid und Calciumcarbonat auf das Papier aufgetragen.

Vorteile von Trocken-Verfahren sind u.a geringe Kosten und das Vermeiden von Farbveränderungen. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass das zur Entsäuerung eingesetzte Pulver sich ungleichmäßig auf dem Papier verteilt und nur die Papieroberfläche dadurch entsäuert werden kann.

Literatur

  • Manfred Anders, Peter Bartsch, Karl Bredereck, Anna Haberditzl: Zur chemischen Festigung von Papier in Zusammenhang mit der Papierentsäuerung. (PDF; 4,4 MB) In: IADA Preprints. 1995, S. 81–85.
  • Bestandserhaltung in wissenschaftlichen Bibliotheken: Verfahren und Maßnahmen zur Rettung der vom Papierzerfall bedrohten Bibliotheksbestände; eine Studie der Bayerischen Staatsbibliothek im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Berlin 1994.
  • Agnes Blüher: Erfahrungen in der Papierentsäuerung. (PDF; 1,1 MB)
  • Rainer Hofmann und Hans-Jörg Wiesner. Bestandserhaltung in Archiven und Bibliotheken. 5. überarbeitete und erweiterte Auflage. Beuth 2015.
  • Thomas Parschik: Massenentsäuerung im Ibero-Amerikanischen Institut Preußischer Kulturbesitz: ein Erfahrungsbericht. In: Bibliotheksdienst. Jg. 42 (2008) Nr. 2, S. 159–163. (PDF-Datei; 51 kB)
  • Thomas Jaeger: Eine Zukunft für saures Papier. In: Dialog mit Bibliotheken 2011/1, S. 67–69
  • Reinhard Altenhöner, Agnes Blüher, Andreas Mälck, Elisabeth Niggemann, Antje Pothast, Barbara Schneider-Kempf (Hrsg.): Eine Zukunft für saures Papier. Perspektiven von Archiven und Bibliotheken nach Abschluss des KUR-Projektes „Nachhaltigkeit der Massenentsäuerung von Bibliotheksgut“. Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 106. Frankfurt am Main: Klostermann 2012
  • Melanie Kubitza: Workflows des Projektes Mengenentsäuerung im Deutschen Literaturarchiv In: o-bib. Das offene Bibliotheksjournal. 2018, Nr. 1, Seite 1–18
  • Antje Potthast: Qualitätskriterien bei der Massenentsäuerung mit Rückblick auf das KUR-Projekt.
  • Durchführung von Massenentsäuerungsprojekten. Gemeinsames Grundlagenpapier des Bestandserhaltungsausschusses der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder, der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag und der Kommission Bestandserhaltung des Deutschen Bibliotheksverbandes. Mai 2019.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Buchentsäuerung bis tief in den Falz.
  2. Weltweit einzigartig: Waschvollautomat für Bücher. In: Hessische/Niedersächsische Allgemeine. 1. Oktober 2010 auf hna.de, abgerufen am 8. Oktober 2010
  3. Die Erhaltung von Kulturgut – Projekte und Maßnahmen der Universitätsbibliothek Braunschweig (Memento vom 5. März 2016 im Internet Archive), S. 14
  4. Andreas Schweiger: Die Bücher-Waschmaschine. Universität Graz, 5. Oktober 2016, abgerufen am 7. Oktober 2016. 
  5. JP: Bücherwaschmaschine. In: VÖBBLOG. 6. Oktober 2016, abgerufen am 7. Oktober 2016. 
Normdaten (Sachbegriff): GND: 4152392-1 (lobid, OGND, AKS)